von Helenie Buntrock
Die Auswirkungen der Pandemie sind zwar für uns alle spürbar, doch einige sind von diesen mehr betroffen als andere. Darum sollten auch Teile der Bevölkerung eine Stimme im öffentlichen Raum erhalten, die bisher wenig oder gar nicht zu Wort gekommen und deren Interessen vergessen oder gar ignoriert worden sind. Daher diskutierten Marco Böhme (stellv. Fraktionsvorsitzender Linksfraktion im sächsischen Landtag) und Katja Kipping (Parteivorsitzende DIE LINKE) am 01.09.2020 mit Gästen aus Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft darüber, welche gesellschaftlichen Auswirkungen die Corona-Pandemie mit sich bringt und welche Antworten DIE LINKE darauf hat.
Was getan wird, reicht nicht.
Wir stehen inmitten einer Pandemie und plötzlich werden durch die Regierung urlinke Themen umgesetzt: staatliche Investitionen fließen und die Schuldenbremse fällt. Vorher undenkbar, nun real-politische Praxis. Doch was getan wird, reicht nicht. Katja Kipping warnt davor, dass die Regierung zwar bereit ist Großkonzerne zu retten, viele Menschen aber vor extremen existentiellen Problemen stehen. Ein sozial-ökologischer Systemwechsel muss her. Wir als LINKE fordern ein Kurzarbeitergeld von 90%. Des Weiteren benötigen wir dringend ein Grundeinkommen. Wir müssen anders Wirtschaften. Dazu brauchen wir aber eine aktive Zivilgesellschaft sowie Bewegungen, die Druck machen. Wir dürfen auch jetzt nicht vergessen, dass wir hinsichtlich klimapolitischer Fragen keine Zeit mehr haben und schnelles, engagiertes Handeln gefragt ist. Dazu brauchen wir aber alle mehr Zeit. Wir fordern Zeitwohlstand für alle durch eine 4-Tage-Arbeitswoche mit Lohnausgleich. Auch darf die Situation von Flüchtlingen nicht aus den Augen verloren werden. Wir als LINKE sind generell gegen Massenunterkünfte und für eine dezentrale Unterbringung. Dies gilt nicht nur für Flüchtlinge, sondern auch für Gast- und Werkarbeiter*innen sowie für Wohnungslose! Ein Zurück in die alte Realität darf es nach Corona nicht geben.
»Amazon dankt seinen Heldinnen und Helden«
Christian arbeitet bei Amazon und kämpft für faire Tarifverträge. »Amazon dankt seinen Heldinnen und Helden« auf einem Plakat. Doch zu weit darf dieser Dank dann doch nicht gehen, die schon lange geforderte Lohnerhöhung um 2,-Euro galt nur für die Monate März und April. Dennoch konnte eine höhere Überstunden- und Pausenzeitvergütung erstritten werden. Corona zeigt auf, was möglich ist, auch wenn Amazon, laut Christian, all diese Errungenschaften lieber wieder rückgängig machen würde. Die Kämpfe um einen fairen Tarifvertrag gehen weiter.
Schikane und mangelnde Hygiene in den Flüchtlingsheimen
Mohsen war in verschiedenen Flüchtlingsheimen untergebracht. Er klagt, auch in Briefen und Interviews, die bereits vor Corona mangelnden hygienischen Zustände an, die sich auch während der Pandemie nicht verbessert haben. Statt jedoch die Zustände zu verbessern, wird Mohsen in eine andere Unterkunft für Flüchtlinge mit psychischen Problemen geschickt. Auf seine Frage, warum er nun dort sei, erhält er die Antwort, dass er Drogen genommen hätte und selbst dort sein wolle. Eine Anzeige gegen die Landesdirektion läuft.
Die Kulturschaffenden bleiben auf der Strecke
Jakob ist Lichtdesigner und arbeitet seit elf Jahren in der Veranstaltungsbranche davon seit zwei Jahren als Freiberufler. Seine Branche umfasst 3 Mio. Beschäftigte und einen jährlichen Umsatz von 264 Mrd. Bis März konnte Jakob eine stabile Versorgung seiner Familie gewährleisten, doch dann fielen alle seine Aufträge aus. Er hat Umsatzeinbrüche von 95% zum Vorjahr. Die staatlichen Hilfen greifen für ihn als Soloselbstständigen nicht, da diese nur die laufenden Betriebskosten abdecken, somit ist er auf ALG II angewiesen.
Annika arbeitete im gastronomischen Sektor, in der Guten Quelle. Für sie heißt Kneipe auch Kultur. Während des Lockdowns musste die Gute Quelle geschlossen werden. Zwar konnten Soforthilfen relativ einfach beantragt werden, jedoch nur für die laufenden Fixkosten und nicht eben für die dringend benötigten Personalkosten. Ab Mai durften sie zwar wieder öffnen, aber die Hürden waren hoch und die Informationslage hinsichtlich der Richtlinien dürftig. Viele Kneipen kratzen bereits ohne Pandemie am Existenzminimum, wodurch zur Verfügung gestellte Darlehen kaum eine wirkliche Alternative oder gar Hilfe sind.
»Sprecht mit uns, nicht über uns«
Viktoria arbeitet seit 2011 als selbstständige Sexarbeiterin und ist aufgrund ihres Berufes immer wieder im Rechtfertigungszwang. Seit dem 1. März ist die Ausübung ihres Berufes verboten. Der 1. September ist der erste legale Arbeitstag, doch es bleibt immer noch der sexuelle Akt verboten. Dagegen durften Swinger-Clubs schon früher wieder öffnen. Auch von Soforthilfen ist die Sexarbeit ausgeschlossen. Dass das Arbeitsverbot nicht auf Fakten beruht, sondern auf Unterstellungen, macht Viktoria wütend. Denn gerade Sexarbeiter*innen sind seit Jahren mit dem Schutz der eigenen Gesundheit und der ihrer Gäste vertraut, da sie sich darüber bewusst sind, dass ihr Körper ihr Kapital ist.
Bjelke ist Facharbeiterin für Sexarbeit bei Leila. Das befristete Modellprojekt startete im September 2019 zur Beratung und Begleitung von Sexarbeiter*innen. Gerade für Arbeiter*innen aus dem europäischen Ausland war die Pandemie besonders problematisch, da sie hier nicht arbeiten durften, aber auch nicht zurück nach Hause konnten. Viele von ihnen hatten keine Unterkunft. Aufgaben, die eigentlich der Staat hätte übernehmen müssen, wie für eine Unterbringung und für Verpflegung zu sorgen, mussten übernommen werden. Das Arbeitsverbot führt aus Not zur Verdrängung in die Illegalität.
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