Der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/Grünen „Landesprogramm für barriere freie Bahnhöfe und Haltepunkte des Schienenpersonennahverkehrs im Freistaat Sachsen“ Drucksache 6/14704) wird von unserer Fraktion unterstützt und gleichzeitig wollen wir den Druck auf den Bund erhöhen, damit es zur einer Lösung, nicht nur in Sachsen, kommt. Da die Bevölkerung auch älter wird und dadurch es noch mehr Menschen mit einer Beeinträchtigung geben wird. Doch sämtliche Bahnhöfe sind dafür gar nicht geeignet aber die Lösungen klar wie notwendig. Dies sieht natürlich die CDU mit dem Herrn Nowak anders. Meine Rede dazu:
Marco Böhme, DIE LINKE: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir besprechen nun ein Problem im sächsischen und im bundesdeutschen Bahnverkehr: die Barrierefreiheit. Barrierefreiheit ist nun einmal Voraussetzung zur unabhängigen Lebensführung und vor allem zur Teilhabe in allen Lebensbereichen. Dies möchte ich hier noch einmal deutlich sagen. Diese Kernaussage der UN-Behindertenrechtskonvention gilt eben auch für alle Menschen mit langfristigen körperlichen, seelischen, kognitiven oder Sinnesbeeinträchtigungen, die durch verschiedenste Barrieren an der gesellschaftlichen Teilhabe gehindert werden. Der Vertragsstaat Deutschland hat das 2007 unterschrieben und steht damit in der Pflicht, geeignete Maßnahmen zur Herstellung von Barrierefreiheit zu treffen. Doch es ist nicht nur festzustellen, dass diese Barrierefreiheit im ÖPNV, speziell im Schienen-ÖPNV, dem SPNV, in vielen Fahrzeugen und Stationen noch nicht vorhanden ist. Nun herrscht bundesweit auch noch ein Streit darüber, wie diese Barrierefreiheit künftig zu erreichen ist. In diesem Streit geht es um wenige Zentimeter, ganz konkret um eine Bahnsteighöhe von 76 oder 55 Zentimetern. Grundsätzlich sagt man – oder sagen wir in Sachsen –, dass die Bahnsteighöhe im Fernverkehr 76 Zentimeter betragen sollte, weil die schnellen, großen und schweren Züge oft höher sind. Im Nahverkehr wiederum sind 55 Zentimeter die bessere Höhe. Darauf haben wir uns in den letzten Jahrzehnten eingestellt, weil Fahrzeuge im Nahverkehr wiederum kompakter sind und deswegen keine so große Höhe brauchen. Daher wurden die Bahnhöfe in Sachsen in den letzten Jahren und Jahrzehnten entsprechend ausgebaut. Nun möchte der Bund, möchte die Deutsche Bahn das System deutschlandweit vereinheitlichen, und zwar für alle Stationen und Bahnhöfe. Das klingt sinnvoll und ist grundsätzlich auch etwas Selbstverständliches, aber das ist eben nicht so einfach umsetzbar. Bundesweit gibt es circa 9 200 Bahnsteige an Bahnhöfen und Haltepunkten im Schienenpersonennahverkehr. Tatsächlich sind die meisten Bahnsteige in Deutschland auf eine Höhe von 76 Zentimeter ausgebaut. Diese mehr als 2 600 Bahnsteige sind vor allem in Westdeutschland zu finden. Letztendlich ist das auch der Grund, warum der Bund und auch die Bahn, die in ihren Entscheidungsgremien mehrheitlich westdeutsch geprägt sind, auf 76 Zentimeter deutschlandweit drängen. Das Problem ist aber, wie gerade schon angesprochen: Zahlenmäßig direkt darauf folgt die nächste Kategorie, nämlich 2 300 Bahnsteige in Deutschland mit 55 Zentimetern – nur 300 weniger als in der ersten Kategorie. Wer jetzt richtig gerechnet hat wird feststellen, dass noch circa 4 300 Bahnsteige fehlen, nämlich jene, die weder 55 Zentimeter noch 76 Zentimeter hoch sind. Von daher ist es mitnichten richtig und schon gar nicht so einfach, wie sich die Deutsche Bahn und der Bund das vorstellen, nun alle Neubauten mit 76 Zentimetern einzufordern.
Der größte Teil der Bahnsteige weist eben unter 55 Zentimeter auf. Dass dieses Ziel kontraproduktiv ist, zeigt sich zum Beispiel in der Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Kollegin Kathrin Kagelmann. Da ging es um die Neubaustrecke Hoyerswerda – Görlitz, die vor ein paar Tagen eröffnet worden ist. Früher gab es dort einmal einen Haltepunkt in Horka, der wegen der Umbaumaßnahme geschlossen wurde. Es gab einen Schienenersatzverkehr, was ja auch sinnvoll ist, solange gebaut wird, wenn anschließend die Züge schneller fahren. Vor ein paar Tagen wurde die neue Strecke wieder eingeweiht, und es gibt eine schnellere Verbindung. Doch was es nicht gibt, ist ein Haltepunkt in Horka, denn der konnte nicht gebaut werden, weil man sich nicht auf die entsprechende Bahnsteighöhe einigen konnte. Zitat der Antwort auf die Kleine Anfrage: „Darin besteht noch Dissens mit der Deutschen Bahn Station&Service AG hinsichtlich der zukünftigen Bahnsteighöhe. Die DB Station&Service AG fordert auch hier unter Berufung auf das Bahnsteighöhenkonzept von 2017 eine Bahnsteighöhe von 76 Zentimetern. Dies lehnen wir von der Staatsregierung und auch der ZVON ab. Alle anderen Stationen dieser Strecke wurden in den letzten Jahren auf 55 Zentimeter Bahnsteighöhe ertüchtigt. Eine Erhöhung auf 76 Zentimeter stünde hier der Barrierefreiheit deutlich entgegen.“ So die Antwort der Staatsregierung. Das ist auch vollkommen richtig. Denn da liegt auch das Problem. In Sachsen gibt es nämlich 653 Bahnsteige, und davon sind nur 26 auf einer Höhe von 76 Zentimetern ausgebaut, 305 wiederum auf einer Höhe von 55 Zentimetern und der Rest noch niedriger. Es ist also ein grundsätzlich richtiges Ziel, wenn der Bund jetzt eine einheitliche Höhe in Deutschland fordert. Das ist auch nachvollziehbar. Aber praktisch heißt das gerade für Länder wie Sachsen, dass fast alle Bahnsteige umgebaut werden müssten. Hinzu kommen noch die Fahrzeuge, die dann auch nicht mehr passen würden. Es würde also Milliarden kosten und ist nicht umsetzbar. Aber anders herum klappt es auch nicht. Man kann auch nicht sagen, dass jetzt Westdeutschland oder NordrheinWestfalen zum Beispiel alle Bahnsteige umbauen müssten. Da hätte man nämlich das gleiche Problem, dort ist nämlich der überwiegende Teil bei 76 Zentimetern. Man sollte daher für den länderübergreifenden Verkehr, der mit schnellen und großen Zügen fährt, anstreben, dass dieser eben zukünftig nicht mehr auf den gleichen Strecken wie der Nahverkehr fährt. Das ist das eine Ziel, welches man anstreben sollte. In Frankreich ist das zum Beispiel auch der Fall. Das zweite Ziel, das man schon angestrebt hat und das man umsetzt, ist, dass Fernverkehr und Nahverkehr nicht mehr an derselben Bahnsteigkante halten, sondern es da eben unterschiedliche Höhen gibt, aber gleiche Standards in Deutschland, nämlich Fernverkehr 76 Zentimeter und Nahverkehr regional unterschiedlich, aber angestrebt bei 55 Zentimetern.
Darum muss es gehen, und es muss vor allem darum gehen, dass die Bahnsteige, die weder der einen noch der anderen Kategorie zuzurechnen sind, angepasst werden. Die große Masse der Bahnsteige ist noch gar nicht auf einen einheitlichen Standard ausgebaut. Da gilt es hinzuschauen. Deswegen ist es auch gut, wenn die GRÜNEN in ihrem Antrag fordern, ein Landesprogramm dafür aufzulegen. Das unterstützen wir. Wir unterstützen natürlich auch, dass der Freistaat Druck im Bund macht und dort diese Problematik anspricht, damit es zum Beispiel in Horka zu einer Lösung kommt. Nun ist die Frage: Warum reden wir eigentlich darüber? Im zweiten Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslage von Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung ist zu lesen, dass es im Jahr 2016 bereits 12,8 Millionen Menschen mit einer Behinderung gab. Das sind 16 % der Bevölkerung, die anerkannt schwerbehindert sind, anerkannt behindert oder chronisch krank sind. So sind die Kategorien. Deswegen sprechen wir heute über die Höhe der Bahnsteige. Mit zunehmendem Alter steigt nun einmal der Bevölkerungsanteil der Menschen mit Beeinträchtigungen. Diese Betroffenenzahlen werden sich in den nächsten Jahre drastisch erhöhen. So wird der Anteil der Menschen im Alter von 65 Jahren und mehr von im Jahr 2017 mit etwa 22 % auf über 30 % im Jahr 2037 steigen. Das ist ein Problem, für das wir dringend eine Lösung brauchen. Deswegen kann man den Antrag letzten Endes nur unterstützen. Ich frage mich, warum Sie das nicht auch tun, Herr Nowak.
(Beifall bei den LINKEN)
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