Am 15. März 2017 gab der Verkehrsminister Martin Dulig eine Fachregierungserklärung zum Thema „Mobilität für Sachsen: bezahlbar, verlässlich, innovativ“ ab. In meiner Rede weise ich auf die soziale Bedeutung von Mobilität hin, denn die Bedürfnisse und Lebenslagen der Menschen werden von der Staatsregierung insbesondere hinsichtlich der Verfügbarkeit und des Zugangs zu Mobilitätsdienstleistungen viel zu wenig beachtet. Unsere Fraktion DIE LINKE hat im Anschluss an die Debatte auch einen Entschließungsantrag (Drucksache 6/8873) zum Thema eingereicht:
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Zunächst möchte ich mich bei Minister Martin Dulig für diese Fachregierungserklärung bedanken, erstens, weil sie die Möglichkeit bietet, hier grundsätzlich über Mobilität in Sachsen zu sprechen und damit eine Debatte über die Problemstellung, wie wir in Sachsen mobil sein wollen, zu beginnen. Zweitens ist es längst überfällig, dass Sie, Herr Minister, die Öffentlichkeit umfänglich über das aufklären, was Sie bis zur Halbzeit Ihrer Amtszeit in diesem wichtigen Feld erreicht haben und noch erreichen wollen.
Leider haben Sie aus meiner Sicht beide Chancen nicht ausreichend genutzt. Sie haben viel zu wenig über Aspekte von Mobilität in Sachsen gesprochen und dabei viel ausgespart. Wir haben sehr viel über die Verkehrssituation, über Bauprojekte von Verkehrswegen, über autonomes Fahren, Elektromobilität usw. erfahren. Dazu werde ich gleich sprechen. Ich möchte aber zunächst einen Blick auf Mobilitätsangebote und die Mobilitätssituation der Menschen in Sachsen werfen; denn dort muss man anfangen zu diskutieren, bevor man konkret über Verkehrsmittel spricht, die die Menschen benutzen. Aus meiner Sicht ist es notwendig, die Frage zu stellen, wie wir erreichen, dass alle Menschen in Sachsen mobil sein können, aber mit weniger Kosten, mit weniger Lärm, mit weniger Dreck, mit weniger Energieverschwendung, weniger Aufwand und Stress, mit weniger neuen Straßen – und damit auch mit weniger Verkehr. Wir wollen gute Mobilität für alle, und das heißt eben nicht, automatisch mehr Verkehr zu erzeugen. Aus meiner Sicht muss das die zentrale Agenda einer zukunftsweisenden Staatsregierung sein. Mobil sein zu können ist eine zutiefst soziale Frage. Es bedeutet, dass ich meine Erledigungen machen, zur Arbeit kommen, die Schule besuchen und einkaufen gehen kann.
Das klingt erst einmal sehr einfach, meine Damen und Herren, aber wir müssen hier ganz genau hinschauen. Nehmen wir beispielsweise eine Person an, die kein Auto zur Verfügung hat. Auch das gibt es in Sachsen und auch nicht zu wenig. Allein in Dresden und Leipzig hat einer von drei Haushalten keinen Pkw im Besitz und auch keinen Dienst-Pkw. Selbst in Riesa oder Kamenz ist es nur jeder sechste Haushalt. Außerdem: Nicht alle Eltern können oder wollen ihre Kinder direkt ins Klassenzimmer fahren. Nehmen wir also ein Kind, das zur Schule muss und kein Auto oder Elterntaxi hat. Damit dieses Schulkind mobil sein kann, braucht es mehrere Bedingungen. Erstens sollte eine Bus- und Straßenbahnlinie mit gutem Takt und fußläufiger Entfernung vorhanden sein. Zweitens. Das Kind bzw. die Eltern müssen die Tickets finanzieren, aber auch bequem kaufen können. Das Tarifsystem muss verständlich sein. Drittens. Der Zugang zur Haltestelle und der Wartebereich sollten sicher und barrierefrei sein. Viertens. Nahverkehr und Schulnetzplanung sollten so abgestimmt sein, dass das Kind nach Schulschluss nicht noch eine Stunde auf den Bus warten muss und auch nicht ewig mit diesem unterwegs ist. Es gibt Kinder in Sachsen, die mehr als zwei Stunden hin und zurück zur Schule fahren. Am besten ist die Schule vor Ort. Aber wenn sie das nicht ist, muss sie wenigstens gut erreichbar sein.
(Beifall bei den LINKEN)
Verstehen Sie, was ich meine? Wir haben noch viele andere Probleme, wie zugeparkte Schulhöfe oder die verlärmten und hochgefährlichen Hauptverkehrsstraßen vor Schulen. Das haben wir dabei alles noch nicht besprochen. Die gesamten Rahmenbedingungen sind in Sachsen oft sehr unsozial. Selbst bei Elterntaxis gibt es nicht wenige, die das Herumgekutsche ebenso stresst. Es geht hier also um Veränderungen. Es geht nicht einfach nur um die Verkehrsart, um Fahrzeuge und Infrastruktur, sondern auch um die Frage, ob die Menschen überhaupt eine Möglichkeit haben, ihre Mobilitätsbedürfnisse sicher, kostengünstig und stressfrei zu befriedigen. Um zu erfahren, ob Sie sich als Staatsregierung die gleichen Fragen stellen wie wir, haben wir eine Große Anfrage an Sie eingereicht, die in der Drucksache 6/8065 ab heute nachzulesen ist. In den knapp 200 Fragen möchten wir von Ihnen, Herr Dulig, wissen, wie sich die Mobilitätskosten in Sachsen für die Menschen entwickelt haben, ob und wie die Bevölkerung Zugang zu Mobilitätsdienstleistungen und zur Verkehrsinfrastruktur hat, wie es um die Verkehrssicherheit bestellt ist, welche gesundheitlichen Auswirkungen das Verkehrssystem hat, die Einrichtungen der Daseinsvorsorge erreichbar sind, wie Mobilitätsbildung in Sachsen funktioniert, wie die Finanzierung der verschiedenen Mobilitätsbereiche aussieht. Und wir wollen wissen, was Sie in diesen Bereichen bisher getan haben und noch vorhaben. Ich nehme Ihre verschiedenen Bemühungen und Aussagen von eben sehr ernst, Herr Dulig. Ich gehe auch davon aus, dass Sie uns Ihre Antwort auf unsere Große Anfrage dann auch ausreichend informieren, wie es um die Mobilität in Sachsen bestellt ist. Außerdem haben wir jetzt noch einen Entschließungsantrag zur Mobilität in Sachsen austeilen lassen, den ich gleich in der nächsten Runde einbringen möchte, Herr Präsident.
Wir Abgeordnete sind in unserem Mobilitätsverhalten und von unseren Wahlmöglichkeiten her sehr privilegiert. Erstens haben wir ein hohes Einkommen und können uns individuelle und bequeme Fortbewegungsmittel leisten oder lassen uns sogar fahren. Wir alle haben einen Freifahrtschein für die Eisenbahn, die wir damit jederzeit kostenfrei nutzen können. Wir bekommen sogar eine finanzielle Zulage zu unserer Aufwandspauschale, je weiter entfernt wir von Dresden wohnen. Wir Abgeordnete unterscheiden uns damit von vielen Menschen im Freistaat. Doch wir haben in der Regel auch viele Wege zu erledigen und sind in unserer 70-Stunden-Woche auch sehr oft ausgelastet. Abgeordnete sind damit mit die mobilsten Menschen in diesem Land. Doch die Frage ist, ob unser Mobilitätsverhalten damit auch nachhaltig und vor allem nachahmenswert ist und ob es gesund ist, was wir tun. Wir müssen uns auch fragen, wie sich unser Mobilitätsverhalten auch auf unsere Gesellschaft niederschlägt. Es kann auf keinen Fall erstrebenswert sein, dass immer mehr Menschen von einem Termin zum anderen hetzen müssen, und das auch noch in verschiedenen Städten, so wie wir es tun. Die Frage ist: Können wir unser Mobilitätsverhalten nicht auch ändern? Statt immer „weiter, höher, schneller“ sollten wir uns die Frage stellen, ob der eine oder andere Termin auf die Schnelle heute hier mit uns passieren muss. Wir Abgeordnete neigen ja immer dazu, uns selbst immer etwas wichtiger zu nehmen, als wir sind. Warum dies also nicht einmal aktiv hinterfragen? Genauso wie die Wahl unserer Verkehrsmittel: die Tiefgarage heute unter dem Bernhard-von-Lindenau-Platz ist ebenso mit Autos vollgestellt wie die Straße – und das, obwohl wir alle kostenlos Bahn fahren können. Ich weiß: Nicht jeder Abgeordnete reist mit dem Auto an. Ich möchte nicht pauschalisieren; es gibt auch Ausnahmen. Es gibt auch Minister, die regelmäßig mit dem Zug anreisen, Minister Gemkow beispielsweise. Aber die Mehrheit der Abgeordneten fährt Auto.
Jeder Autofahrer hat natürlich einen Grund dafür, warum er mit dem Auto angereist ist – beispielsweise, um flexibler zu sein, man hat ja noch andere Termine, oder weil es schlicht bequemer und schneller ist oder die Bahn keine attraktiven Angebote zum Zielort bietet. Das ist sicherlich alles nicht verkehrt und nicht falsch, aber genau daran müssen wir arbeiten! Das sind die Fragen, die uns bewegen müssen. Warum ist das so und was können wir daran ändern? Da kann man sich auch die Frage stellen, ob wir uns im Ausschuss für Wirtschaft nicht ein Bild von Mobilitätsangelegenheiten im ländlichen Raum machen sollten, also mit dem Ausschuss gemeinsam mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in die Lausitz oder ins Erzgebirge fahren. Hier kann man auch noch weiter gehen: Man kann beispielsweise sagen, dass man als Verkehrsminister den Dienstwagen öfter stehenlässt und des Öfteren sagt, dass man Einrichtungen nur noch dort besucht, wo es einen guten und attraktiven ÖPNV gibt. Das wäre einmal ein Signal. Dann sähen Sie live und regelmäßig, wie es mit den Mobilitätsangeboten in den verschiedenen Regionen wirklich aussieht und wo man handeln muss. Unsere Aufgabe als Landespolitiker muss es vor allem sein, den Menschen die Mobilitätsmöglichkeiten zu garantieren, die sie in ihrem Leben benötigen. Das bedeutet aber auch, schädliche Auswirkungen des Verkehrs auf die Gesellschaft zu begrenzen. Hier müssen wir uns die Frage stellen, wie man das am besten erreichen kann. Wir müssen uns fragen: Was wollen wir mit unseren Verkehrsbetrieben erreichen? Gibt es einen sozialen Auftrag für diese? Gibt es einen ökologischen Auftrag – ja oder nein? Wollen wir, dass auch Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger mit der Bahn fahren können? Gibt es ein Grundrecht auf Mobilität? Ich sage zu allem: Ja. Daran müssen wir stärker arbeiten.
(Beifall bei den LINKEN)
Zur Frage der Mobilität und des Mobilitätsverhaltens habe ich meine Position aufgezeigt. Es geht aber auch um die Aspekte, von denen Herr Dulig hier gesprochen hat, vor allem um den Verkehr; das betrifft die ganzen Hilfsmittel und Instrumente, mit denen die Menschen in Sachsen Mobilität umsetzen – Straßen, Schienen, Räder, Öl, Strom usw. Ich spreche nicht umsonst die ganze Zeit von Bus- und Bahnangeboten und nicht von Autofahrten, die verbessert und ausgebaut werden müssen – erstens, weil nicht alle Menschen Auto fahren können, es aber auch nicht wollen, zweitens, weil wir endlich eine ökologische Verkehrswende auch hier in Sachsen brauchen und drittens, weil Stress und Unfälle vor allem vom motorisierten Individualverkehr, also von Autos, verursacht werden. Viertens ist es volkswirtschaftlich viel effizienter, Wege gemeinsam zu bestreiten. Fünftens wurde der motorisierte Individualverkehr in den letzten 20 Jahren enorm gefördert und ausgebaut und ist rasant gewachsen, und nun muss der Umweltbund – also der ÖPNV, der Fahrrad- und Fußverkehr – wieder verstärkt in den Fokus gelangen, und zwar aus Klimaschutz- und sozialen Gründen. Oder glauben Sie hier im Saal, dass dieser Verkehrswahnsinn, den wir heute haben, in Zukunft irgendwie noch haltbar ist? Denken Sie, dass die folgenden Generationen sich als Erbschaft über das heutige Verkehrssystem ernsthaft freuen würden, bei diesem riesigen Sanierungsstau bei Straßen und Brücken, mit der großen Ölabhängigkeit und den vielen Verkehrstoten? Wir als LINKE wollen das nicht. Wir wollen den ÖPNV attraktiver machen. Es kann doch nicht sein, dass die Autobahn zwischen unseren Oberzentren immer voller werden, ja fast schon verstopfen, nur weil wir nicht in der Lage sind, höhere Taktfrequenzen im Schienenpersonennahverkehr bereitzustellen! Ich denke da beispielsweise an die Städte Görlitz und Dresden, wo nur alle zwei Stunden ein schneller Zug verkehrt. Gleiches gilt für Leipzig – Chemnitz, der Zustand dort ist eine Zumutung, Stichwort Züge aus dem letzten Jahrhundert und Stichwort Frauenabteile. Die Strecke Chemnitz – Dresden ist auch nicht ausreichend attraktiv – oder wie erklären Sie sich, dass auch dort die Autobahnen immer voller werden? Dabei rede ich jetzt nur von den Großstädten. Im ländlichen Raum sieht es noch schlimmer aus, vor allem, weil es an guten Angeboten und einem integralen Taktfahrplan fehlt, der seinen Namen auch verdient. Die Antwort von vielen CDU-Abgeordneten in der Vergangenheit lautete dann: „Man darf nicht leere Fahrzeuge durch die Gegend fahren lassen, also müssen die Zuglinien eingestellt werden“. Großzügigerweise wollten Sie diese dann durch Busse ersetzen, wenn überhaupt. Das kann doch nicht das Ziel sein! Sicherlich muss man bereit sein, einzelne Strecken zu überprüfen. Damit hat man in der Strategiekommission jetzt angefangen. Dass aber pauschal über Bus-Stadtbahnlinien gesprochen werden muss, wie es vor einem halben Jahr in der Zeitung stand, fand ich furchtbar. Das darf so nicht weitergehen!
Sachsen ist ein Eisenbahnland, meine Damen und Herren von der CDU, und das wird es auch bleiben. Man braucht mehr Busse – gar keine Frage. Das ist auch sehr wichtig, um den Schienenpersonennahverkehr zu ergänzen. Man darf ihn also nicht als Ersatz oder Konkurrenz zum Schienenpersonennahverkehr sehen. Ich empfehle Ihnen daher, das Basisgutachten der ÖPNV-Kommission einmal zu lesen. Es zeigt auch, was seit der Gründung der Zweckverbände in Sachsen, seit 20 bis 25 Jahren, alles verschlafen wurde und nun dringend angegangen werden muss. Laut Landesentwicklungsplan sind 45 Minuten die Zielzeit zwischen Mittel- und Oberzentren, die mit dem ÖPNV zurückgelegt werden müssen, um Einrichtungen der Daseinsvorsorge zu erreichen. Damit sind aber nur die Zentren der jeweiligen Städte gemeint; man ist dann also noch nicht beim Arzt angelangt, sondern nur in der Innenstadt des betreffenden Ober- oder Mittelzentrums. Als Zielzeit mit dem Auto hat man 30 Minuten angegeben, also erheblich weniger Zeit. Am Ende braucht man mit dem ÖPNV von Ort zu Ort bestimmt zwei Stunden. Doch das muss sich dringend ändern – das sagt auch das Basisgutachten. Das ist das Ziel, das unser Landesentwicklungsplan vorsieht. Im Gutachten ist auch sehr deutlich dargestellt, welche finanzielle Priorität der Freistaat dem ÖPNV gibt. Schauen wir einmal zurück auf die Haushaltsverhandlungen vor einigen Monaten: im Juli 2016 veröffentlichte die Staatsregierung ihren Regierungsentwurf zum Haushalt. Zu diesem Zeitpunkt ging man noch davon aus, dass die Regionalisierungsmittel des Bundes für Sachsen nicht steigen werden, ja bis zum Jahr 2030 eine Milliarde Euro fehlen wird. Trotzdem haben Sie, Herr Verkehrsminister, den Zweckverbänden zugesichert, jedes Jahr eine Mittelerhöhung, also eine Dynamisierung von 1,8 % geben zu können. Das haben wir damals ausdrücklich begrüßt. Auch wenn die Kostensteigerung im ÖPNV 2,5 % beträgt, war das dennoch ein gutes Zeichen in dieser Situation. Sie haben das mit Landesmitteln im Schülerverkehr und durch Erhöhung der Investitionen aus eigenen Landesgeldern erreicht, sodass Sie diese Regionalisierungsmittel nicht direkt brauchten und sie damit direkt den Zweckverbänden geben konnten. Doch dann haben die ostdeutschen Länder noch einmal kräftig Krawall bei der Bundesregierung gemacht und erreicht, dass es einen Mittelaufwuchs für den Osten geben wird. Sachsen erhält dabei 50 Millionen Euro mehr. Doch statt diese 50 Millionen Euro, die wir jetzt haben, tatsächlich auszugeben, landet ein Großteil davon im Zukunftssicherungsfonds des Finanzministeriums.
(Andreas Nowak, CDU: Das ist doch wieder einmal gelogen! „Die stopfen sich die Taschen voll.“ – Das stimmt nicht!)
Schauen Sie einmal in den Etat des Haushaltes: Die 50 Millionen Euro, die es mehr gibt, sind nicht ausgegeben.
(Zurufe von der CDU)
Ein Teil ist in den Vorsorgetopf geflossen, aber nicht alles davon. Ein Großteil befindet sich vor allem im Zukunftssicherungsfonds.
(Andreas Nowak, CDU: Erwecken Sie nicht diesen falschen Eindruck – das ist Quatsch!)
Genau das ist das Problem. Das Geld vom Freistaat, die eigenen Landesmittel, hätten nicht zurückgezogen werden dürfen. Im Gegenteil: Der Freistaat hätte sogar noch mehr Geld einsetzen müssen. Das Geld, das eingeplant war und dann wieder entfernt wurde, hätte für eine Verbesserung des ÖPNV eingesetzt werden können, beispielsweise beim Ausbildungsverkehr. Man muss auch dafür sorgen, dass Schülerinnen und Schüler bzw. deren Eltern endlich von den Kosten der Beförderung zur Schule befreit werden. Keiner von ihnen kann etwas dafür, dass die Schulwege heute in vielen Regionen länger sind, als sie früher waren. Zur Lehr- und Lernmittelfreiheit, die letzten Endes eine kostenfreie Bildung gewährleistet, die wir alle wollen, gehört auch der Schulweg. Auch das sind Kosten, die mit der Schulpflicht entstehen und den Schülerinnern und Schülern nicht aufgebürdet werden dürfen.
(Beifall bei den LINKEN)
Wir als LINKE hatten im Haushalt einen entsprechenden Antrag eingereicht, der die Zuschüsse für den Ausbildungsverkehr erhöht und diesem Ziel eines kostenfreien Bildungswegs einen Schritt näher kommen. Stattdessen bleibt alles für Sie, wie es ist. Auch Sie, liebe SPD, haben im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass es ein – ich zitiere – „einheitliches, sachsenweit gültiges und kostengünstiges Bildungsticket für Schülerinnen und Schüler und Auszubildende über den Schulweg hinaus geben“ wird. Aber nun wird in der ÖPNV-Strategiekommission gesagt, dass es das so nicht geben wird. Herr Baum oder Herr Homann wird dazu nachher sicher noch etwas erzählen. Fakt ist aber, dass Sie einfach unseren Antrag hätten berücksichtigen können, und dann wären wir heute schon einen großen Schritt weiter. Man hätte mit dem Geld, das jetzt nicht ausgegeben wird, auch qualitative Verbesserungen im ÖPNV umsetzen können, zum Beispiel ein Programm für flächendeckendes WLAN in allen Regionalzügen – das gibt es heute noch nicht einmal in Ansatzpunkten, und das im Jahr 2017! –, oder den Ausbau von barrierefreien Stationen hätte man voranbringen können. Mir ist völlig schleierhaft, wie Sie bis 2022 eine komplette Barrierefreiheit im ÖPNV erreichen wollen, so wie es im Personenbeförderungsgesetz vorgeschrieben ist. Man hätte auch den Investitionstopf für den ÖPNV weiter füllen können. Leipzig und Dresden platzen aus allen Nähten. Allein in Leipzig kommen jedes Jahr mehr als 10 000 Einwohnerinnen und Einwohner hinzu. Das bedeutet auch bis zu 5 000 neue Autos. Das verkraftet die Stadt nicht, auch nicht angesichts ihrer dichten Bebauung. Da ist laut Leipziger Verkehrsbetrieben ein Investitionsstau von 100 Millionen Euro im Nahverkehr zu verzeichnen. Noch reicht es, mehr und neue Fahrzeuge auf die Gleise und Straßen zu stellen. Doch spätestens 2025 sind die Knoten überlastet, und man braucht massive Anstrengungen beim Ausbau der Infrastruktur. Das muss jetzt begonnen werden. Darauf ist weder die Kommune noch der Freistaat eingestellt. Stattdessen gibt es ein Sonderprogramm mit knapp 100 Millionen Euro, um Winterschäden auf Straßen in Sachsen zu beseitigen. Ich frage mich: Wo bleibt das Sonderprogramm für den ÖPNV in den Großstädten, wo dringend Investitionsmittel gebraucht werden?
Daher komme ich auch zu dem Thema Entflechtungsmittel, die wir ja immer noch vom Bund für die Kommunen bekommen. Leider werden davon immer noch knapp 80 % für den Straßenbau ausgegeben. Wir haben bei den Haushaltszahlen vorgeschlagen, wenigstens 50 % für den Ausbau des ÖPNV bereitzustellen. Auch das haben Sie abgelehnt. Nicht zu vergessen sind außerdem die immer weiter steigenden Preise im ÖPNV. Die Zuschüsse der Kommunen reichen schon lange nicht aus, und sie können auch nicht mehr leisten. Die Konsequenz daraus ist, dass die Fahrpreise in den letzten Jahren massiv gestiegen sind und das Fahren mit Bus und Bahn am Ende zu teuer wird. Es war DIE LINKE, die zumindest in Dresden und Leipzig zusammen mit GRÜNEN und SPD Sozialtickets eingeführt hat. Ich frage mich: Warum gibt es das nicht auf Landesebene im Regionalverkehr? Haben einkommensschwache Menschen nicht auch das Recht, Bus und Bahn fahren zu können? Mobilität darf kein Luxus sein. Dann muss man die Kommunen dabei auch entsprechend unterstützen. Das gehört zur Daseinsvorsorge. Allein deswegen müssen wir für bezahlbare Tickets streiten und kämpfen.
(Beifall bei den LINKEN)
Es kann nämlich nicht sein, dass man in Leipzig für 3 Euro am Tag mit dem Auto parken kann, mit der Straßenbahn oder dem Bus aber 5,20 Euro für Hin- und Rückfahrt zahlen muss. Diese Verhältnisse müssen sich dringend umkehren, damit endlich eine nachhaltige Mobilität angeboten werden kann. Letztlich müssen wir auch aus Klimaschutzgründen die Kosten für den ÖPNV senken, damit Bus- und Bahnfahren attraktiver wird. Mir ist schleierhaft, wie Sie den Treibhausgasausstoß aus dem Verkehrsbereich senken wollen. Mir ist generell schleierhaft, wie Sie die Klimagase in Sachsen reduzieren wollen. Entweder Sie gestalten die Energiewende und betrachten dabei alle Sektoren und damit auch den Verkehr, oder Sie werden früher oder später vor totalen Strukturumbrüchen stehen. Das gilt auch für den Verkehrssektor. Der Verkehrssektor ist der Bereich, in dem es in den letzten 20 Jahren die wenigsten CO2-Einsparungen gab, ja, diese sogar teilweise wieder steigen. Da werden auch keine Elektroautos reichen. Auch Sie, Herr Dulig, waren dafür, dass es eine Kaufprämie für Elektroautos auf Bundesebene gibt, die übrigens kaum nachgefragt wird. Statt dieses Geld in den individuellen motorisierten Individualverkehr für Besserverdienende zu stecken, hätte man diese Milliarden lieber in das bestehende Elektronetz, die Eisenbahn, stecken müssen. Dann wären wir heute beim Ausbau Dresden – Görlitz, oder Leipzig – Chemnitz auch schon viel weiter.
Die Autos, die wir brauchen, zum Beispiel um Dinge zu transportieren, müssen natürlich mit Strom fahren. Deswegen will ich die Elektroantriebstechnologie auch nicht verteufeln. Aber sie darf nicht einfach nur die Blechlawinen, die wir heute haben, ersetzen. Das Gleiche gilt beim autonomen Fahren. Herr Minister, stellen Sie sicher, dass autonome elektrifizierte Fahrzeuge der Zukunft nur dann Anwendung finden, wenn es dadurch auch eine deutliche Reduktion des Autoverkehrs und vor allem der Parkflächen in der Stadt gibt. Nichts wäre schlimmer, als wenn am Ende in naher Zukunft jeder seinen Elektro-Pkw-Butler vor der Tür stehen hat. Damit ist in der Stadt keinem geholfen. Außerdem muss man die Entwicklung des autonomen Fahrens aktiv gestalten. Es dürfen dadurch am Ende nicht eigene Trassen für diese autonomen Fahrzeuge entstehen, wo Fahrräder und Fußgänger ausgeschlossen sind, weil diese Systeme dann öfter bremsen müssten. Wir brauchen keine Exklusion von Fahrbahnen für Autos. Das Gegenteil muss der Fall sein. Fußgängerinnen und Fußgänger, Radfahrerinnen und Radfahrer haben auch Anspruch auf Straßenraum. Diesem muss in Zukunft mehr Platz eingeräumt werden. Das steigert die Lebensqualität und erhöht die Sicherheit in unseren Städten.
Generell haben wir auch zu wenig von Ihnen gehört, wie man das ökologischste Verkehrsmittel von allen fördern kann, Herr Dulig. Jeder Verkehrsteilnehmer macht das nämlich: zu Fuß gehen, selbst wenn er nur zum Auto läuft. Jeder startet seinen Weg zu Fuß. Doch was tun Sie, um die Infrastruktur für Fußgängerinnen und Fußgänger zu verbessern? Viele Stadtplanungsämter verfolgen immer noch das Bild einer autogerechten Stadt, was zwangsläufig mit Konflikten mit Fußgängerinnen und Fußgängern, mit Radfahrerinnen und Radfahrern in den Städten einhergeht. Wir brauchen hier bessere Schulungen, aber auch andere Mitarbeiterstrukturen im Landesamt für Straßenbau.
Herr Dulig, ich freue mich genauso wie Sie über die Entscheidung im Bundesrat, dass endlich mehr bzw. überhaupt Tempo-30-Zonen vor Schulen flächendeckend eingerichtet werden können. Doch damit muss man nun zügig anfangen. Auf meine Kleine Anfrage vor einem Jahr haben Sie nicht einmal Angaben gehabt, wo überhaupt die entsprechenden Straßen und Schulen in Sachsen sind und wo dann die Tempo-30-Zonen umgesetzt werden können. Das muss also nun schleunigst beginnen, und dazu muss man auch hinschauen.
Ohne eine Verkehrswende wird es auch keine funktionierende Energiewende geben und damit auch keinen funktionierenden Klimaschutz. Der Verkehrssektor ist immer noch das Sorgenkind der Energiewende. Er ist enorm von Ressourcen abhängig, auch wenn man dann erneuerbar und autonom fahren wird. So erreichen wir das Ziel am Ende nicht, insgesamt effizienter und sparsamer mit Ressourcen umzugehen. Ich finde es richtig, dass Sie eine ÖPNV-Strategiekommission ins Leben gerufen haben. Diese ist auch dringend nötig gewesen. Man weiß bis heute nicht einmal, wie viele Haltestellen es in Sachsen gibt, und demzufolge auch nicht, wie viele davon barrierefrei ausgebaut sind. Laut Gutachten sind am Wochenende Hunderttausende Menschen in Sachsen vom ÖPNV komplett abgekoppelt. Das muss sich dringend ändern. Die ÖPNV-Strategiekommission legt in ihrem Basisgutachten auch den Finger in die Wunde, und die verschiedenen Arbeitsgruppen werden das auch tun. Ich hoffe, dass Sie im nächsten Halbjahr auch zufriedenstellende Ergebnisse vorliegen haben werden, dass die Handlungsempfehlungen und Forderungen an uns Landtagsabgeordnete weitergegeben und diese im Parlament auch umgesetzt werden. Denn fest steht, dass in vielen Regionen überhaupt erst attraktive ÖPNV-Angebote geschaffen werden müssen, bevor eine Nachfrage erzeugt werden kann. Andersherum wird es nicht funktionieren, so wie es die Vorgängerregierung vorgesehen hatte. Es hat sich auch schon gezeigt, dass dort, wo es attraktive Verbindungen im ÖPNV gibt, diese auch besser genutzt werden. Doch das passiert nicht von allein, sondern hier müssen wir gestalten, und dazu bedarf es in Zukunft auch einer ÖPNV-Reform in Sachsen.
Zum Fazit: Wir werden uns den Bemühungen der Strategiekommission nicht verschließen, arbeiten dort auch aktiv mit und werden weiter für eine Verkehrs- und Mobilitätswende in dieser Gesellschaft streiten. Wir müssen Mobilität in dieser Gesellschaft ganz neu denken und darüber diskutieren, wie wir in Zukunft mobil sein wollen. Den ÖPNV ganz nach vorn zu bringen ist das Ziel. Neue Straßen sind Lösungen des 20. Jahrhunderts. Der Planet setzt uns Grenzen, nicht nur bei den Klimagasen. Bus und Bahn sind gegenüber den individuellen motorisierten Gefährten zu priorisieren. Das Soziale muss in den Fokus gerückt werden, wenn wir über Mobilität und Verkehr reden. Wenn Kinder über zwei Stunden zu irgendwelchen Bildungsorten unterwegs sind, während die Chauffeure der Minister draußen vor dem Landtag stehen, dann läuft einiges schief in diesem Land! Daran muss sich sehr viel ändern. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei den LINKEN)
Zweiter Redeteil zum Entschließungsantrag, der von der Fraktion DIE LINKE zum Thema eingebracht wurde:
Der Entschließungsantrag wurde gerade erst ausgereicht. Dazu vielleicht noch eine kleine Bemerkung: Eigentlich ist es parlamentarisch üblich, dass bei Fachregierungserklärungen den Abgeordneten die inhaltlichen Aussagen des Ministers oder des Ministeriums zur Verfügung gestellt werden, woraufhin ein Entschließungsantrag geschrieben werden kann, wenn er das denn soll. Wir hatten lediglich Eckpunkte bekommen, weshalb wir uns in diesem Entschließungsantrag vor allem auf die bisherige Arbeit des Ministeriums beziehen. Dazu möchten wir als Landtag beschließen lassen, dass wir gemeinsam feststellen, was Mobilität wirklich bedeutet und dass aus unserer Sicht leider die Bedürfnisse der Menschen dabei immer noch zu wenig berücksichtigt werden. Außerdem möchten wir feststellen, dass autonomes und elektrisches Fahren Regeln braucht und damit Lebensqualität in den Städten gesichert werden muss. Es geht ebenfalls darum, die Infrastruktur besser auszulasten. Das möchten wir feststellen. Wir möchten feststellen, dass der fahrrad- und fußgängerfreundliche Verkehr gestärkt werden soll und dazu entsprechende Gremien gestärkt werden müssen und eingerichtet werden sollen, und dass Rad, Fuß und Bus und Bahn im Landeshaushalt bisher noch zu wenig Berücksichtigung gefunden haben. Wir fordern deshalb, dass wir die gerade genannten AGs stärken, dass wir bei Elektro-Pkw und autonomem Fahren klare Regeln brauchen und dafür Leitlinien erstellt werden müssen und dass wir rechtliche Möglichkeiten ausschöpfen möchten, um Verkehrsberuhigung gerade in Innenstädten erreichen zu können. Vielen Dank.
(Beifall bei den LINKEN)
Schreibe einen Kommentar