Einer der Schwerpunkte der Linksfraktion für einen alternativen Haushalt ist der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV). Die folgenden drei Schwerpunktpakete müssen dringend umgesetzt werden, damit Mobilität – und damit soziale Teilhabe – für alle möglich wird. So sollen zum einen Empfehlungen der vom Freistaat einberufenen ÖPNV-Strategiekommission energisch umgesetzt werden. Zweitens werden Maßnahmen skizziert, um die Mobilitätskosten zu senken, bis hin zur Vision eines „Entgeltlosen ÖPNV“-Angebots. Drittens geht es darum, die Fahrgäste besser an der Planung und Organisation des ÖPNV zu beteiligen und ihre Rechte zu stärken.
I Maßnahmen der ÖPNV-Strategiekommission mit LINKS umsetzen!
Die ÖPNV-Strategiekommission hat viele Vorschläge zur Verbesserung des ÖPNV aufgegriffen. Diese wollen wir dringend umsetzen. Und wir gehen noch weiter:
a) ÖPNV-Angebot verbessern und zur kommunalen Pflichtaufgabe machen
In Sachsen sind nur etwa die Hälfte der Einwohnerinnen und Einwohner an ein ÖPNV-System angeschlossen . In vielen Ortsteilen und Gemeinden existieren mit Ausnahme des Schulbusses keine öffentlichen Verkehrsmittel. Wir wollen nicht nur das ÖPNV-Angebot deutlich verbessern, sondern auch einheitliche Qualitätsstandards festschreiben, so dass eine gesicherte Bedienhäufigkeit in allen Kommunen gewährleistet wird. Die Bereitstellung eines guten ÖPNV darf nicht als freiwillige Aufgabe vom spärlichen Finanzrahmen der Landkreise und Kreisfreien Städte abhängen , sondern muss als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge verstanden werden. So soll das Busliniennetz erweitert, bestehende und neue Linien sollen regelmäßig im festen 1-Stunden- und 2-Stunden-Takt verkehren, der Umstieg zwischen den Linien und zum Bahnverkehr gesichert werden. Nur so ist der örtliche Busverkehr nicht nur für Schülerinnen und Schüler da, sondern für alle Einwohnerinnen und Einwohner. Vorbild ist das regionale Pilotprojekt „Muldental in Fahrt“, das wir flächendeckend umsetzen möchten. Wir fordern daher:
• die Schaffung eines landesweiten und angebotsorientierten Busnetzes, das gleiche Bedienungsstandards für bestimmte Raumtypen und Taktfrequenzen vorsieht und auf die Bedürfnisse und Wegebeziehungen der Menschen abzielt (PlusBusse, Landbusse, Stadtbusse etc.).
• Planung und Organisation des ÖPNV sollen eine Pflichtaufgabe der Landkreise und Kreisfreien Städte werden.
• Einführung eines dichteren Taktsystems: In jeder Gemeinde mit mehr als 800 Einwohnerinnen und Einwohnern (EW) muss ein ÖPNV-2-Stundentakt, in Gemeinden mit mehr als 5.000 EW ein 1-Stundentakt und in allen Gemeinden mit mehr als 10.000 EW ein Halbstundentakt im Busverkehr angeboten werden, der vom Ortskern die umliegenden Gemeindeteile und die nächstgelegene Schienenpersonennahverkehr-Station anfährt und so im Schienenpersonennahverkehr -Takt eine Zubringerfunktion erfüllt (Teil des Sachsentakts). Dazu wird das ÖPNV-Gesetz entsprechend geändert.
• Eine Taktverbesserung im Schienenpersonennahverkehr sowie die Wiederinbetriebnahme kürzlich abbestellter Zugleistungen.
b) Investitionen in den Bestand: Busse und Bahnen nicht platzen lassen und moderne Fahrzeuge für alle zugänglich machen!
Eine höhere Taktung im ÖPNV und das Ziel, den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel attraktiver zu machen, damit mehr Menschen regelmäßig den ÖPNV nutzen, erfordern massive Investitionen in die Infrastruktur. Denn schon jetzt sind gerade in den Großstädten und im Berufsverkehr die Fahrzeuge oft zu voll und es kommt nicht selten vor, dass nicht alle Menschen mitgenommen werden können. Andererseits entsprechen alte, nicht barrierefreie Fahrzeuge nicht den Qualitätsstandards eines attraktiven ÖPNV für alle Menschen. Es braucht daher:
• Zusatzinvestitionen in den Ballungsgebieten, um bestehende Knotenpunkte anzupassen, neue Knotenpunkte zu schaffen und die Fahrzeugflotten mit modernen, emissionsarmen Fahrzeugen zu erweitern.
• Zusatzinvestitionen für den barrierefreien Ausbau aller ÖPNV-Zugänge, Haltestellen und Fahrzeuge bis möglichst 2025 statt bis 2030 .
• Erhöhung der Mittel des ÖPNV-Landesinvestitionsprogramms zur Förderung von Fahrzeugen mit barrierefreier Ausstattung und Infrastrukturmaßnahmen sowie Senkung der Eigenanteile bei Fahrzeugen von 50 Prozent auf 25 Prozent.
• Einforderung von Qualitätsstandards bei Fahrzeugen im Regionalverkehr wie WLAN, durchgängiger Barrierefreiheit, Emissionsarmut und Klimaanlagen für künftige Ausschreibungen.
• Finanzierung eines Modellprojekts „Wasserstoffmobilität“ zur Erforschung und Nutzung von Wasserstoffbussen im Großstadtbetrieb.
c) Kinder-, Jugend und Auszubildendenticket
Das ewige Hin und Her beim sogenannten Bildungsticket ist nicht nur unbefriedigend für alle Schüler-innen, Schüler und Eltern. Es zeigt auch, dass die Kommunen und Landkreise kein Vertrauen mehr in den Freistaat haben und dass sich die Staatsregierung mit Maßnahmen wie dem Bildungsticket schmücken möchte, aber nicht bereit ist, dafür Geld in die Hand zu nehmen. Wir wollen, dass mittelfristig alle Kinder und Jugendlichen unter 27 Jahren in ganz Sachsen entgeltfrei öffentliche Verkehrsmittel nutzen können. Es bräuchte kein separates Ticket, Elternanteile fielen weg, Auszubildende könnten problemlos den ÖPNV nutzen und wären nicht darauf angewiesen, sich nach der Schule direkt ein Auto zuzulegen. Wenn alle jungen Menschen mobil sein können, stärkt das ländliche Räume und den dortigen ÖPNV. Dazu schlagen wir folgende Schritte vor:
• Das geplante Bildungsticket der Koalition wird komplett vom Freistaat finanziert und ermöglicht die kostenfreie Fahrt für alle Schülerinnen und Schüler in ganz Sachsen.
• Mit den Kammern werden Zielvereinbarungen getroffen, damit Auszubildende ab 2020 ein sachsenweit gültiges und günstiges Ticket erwerben können. Die Finanzierung soll zu je zu einem Drittel durch die Auszubildenden, den Freistaat und den Ausbildungsbetrieb erfolgen.
• Mittelfristig finanziert der Freistaat die Fahrkarten für alle Kinder und Jugendlichen unter 27 Jahren und stärkt damit auch die ländlichen Räume und Verkehrsunternehmen.
d) Ein Preismodell für alle!
Die Organisation des ÖPNV durch die Landkreise und Kreisfreien Städte führt dazu, dass in Sachsen fünf unterschiedliche Regelwerke zu Tarifbestimmungen, Organisation und Planung bestehen. Dies ist nicht nur unübersichtlich, sondern insbesondere bei Tarifgrenzüberschreitungen auch ungerecht. So ist die Fahrt von Hoyerswerda nach Weißwasser teurer als eine Fahrt von Hoyerswerda nach Radeberg, obwohl letztere Orte fast 20 Kilometer weiter voneinander entfernt liegen als erstgenannte. Auf der anderen Seite kann eine dezentrale Organisation des ÖPNV in verschiedenen Verkehrsverbünden dafür sorgen, dass Bedürfnisse vor Ort hinsichtlich der Streckenführungen und Fahrpläne stärker berücksichtigt werden. Außerdem entstanden in den letzten Jahren innovative Strukturen im Vertrieb, in der Kundenansprache und im Marketing der einzelnen Verbünde. Es ist also richtig, schnell einen verbundübergreifenden Sachsentarif einzuführen und eine Koordinierungsstelle zu etablieren, die landesweite Abstimmungs- und Planungsprozesse effizienter organisiert, so wie es bereits vom Landtag beschlossen wurde. Das können aber nur erste Schritte sein auf dem Weg zu einem Verkehrsverbund für alle, der sowohl die Organisation des ÖPNV vor Ort erhält als auch die Grenzen zwischen den Verkehrsverbünden abschafft. Wir fordern daher:
• Kurzfristig: eine Dachgesellschaft, welche die Tarifstrukturen harmonisiert.
• Mittelfristig: einen Tarifverbund für ganz Sachsen, der einheitliche Ticketpreise und
-konditionen anbietet sowie Marketing, Vertriebsstrukturen und Kundenservice vereinheitlicht. Die derzeitigen kommunalen Zweckverbände werden zu Managementzonen und führen die Linienplanung und Organisation des ÖPNV durch.
• Langfristig: einen Verkehrsverbund Mitteldeutschland für die Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, bei dem Bestellung, Linienplanung und Bevölkerungsbeteiligung aber weiter den Landkreisen und kreisfreien Städten obliegen.
II Fahrpreiserhöhungen stoppen, ÖPNV für alle ermöglichen!
Menschen sollen unabhängig vom Geldbeutel mobil sein können – und das auf ökologische Weise. Derzeit hindern jedoch hohe Fahrpreise oder fehlende Zugänge zu Verkehrsmitteln viele Menschen daran. Um Mobilität als Grundrecht garantieren zu können, braucht es ein solidarisches Finanzierungskonzept. Deshalb müssen zunächst landesweite Sozialtarife eingeführt und weitere Preissteigerungen unterbunden werden. Langfristig ist jedoch ein anderes Finanzierungssystem nötig. Dabei kommen viele solidarische Finanzierungskonzepte in Betracht, etwa könnte der öffentliche Nah- und Regionalverkehr komplett vom Freistaat finanziert („entgeltfreierloser“ ÖPNV) oder ein abgabenfinanziertes System („Bürger*innenticket“) eingeführt werden, wie es die Stadt Augsburg bereits 2019 zunächst mit einer Gratis-Zone in der Innenstadt umsetzen möchte . Alle Konzepte setzen massive Anfangsinvestitionen in die ÖPNV-Infrastruktur voraus, um zusätzliche Fahrgäste befördern zu können. Zudem kann ein anderes Finanzierungsmodell nur schrittweise eingeführt werden. Wir fordern daher:
• ein Tarifmoratorium für ganz Sachsen, so dass in keinem Verkehrsverbund die Ticketpreise weiter steigen dürfen. Entsprechende Einnahmeausfälle sind vom Freistaat zu ersetzen.
• Gemeinden und Landkreise werden vom Freistaat gefördert, wenn sie Sozialtickets finanzieren wollen.
• ein Modellprojekt „Entgeltfreier ÖPNV“, in dem der Betrieb eines zunächst ausschließlich steuerfinanzierten ÖPNV getestet werden soll. Dabei sollen die Auswirkungen und Besonderheiten eines solidarischen Finanzierungskonzepts in einem sächsischen Mittelzentrum als Modellregion schrittweise eingeführt werden:
- Phase 1) Beteiligung: Die Menschen vor Ort müssen über die konkrete Umsetzung und Ausgestaltung der folgenden Phasen des Modellprojekts auf Grundlage eines ÖPNV-Beteiligungskonzepts mitreden und mitentscheiden können.
- Phase 2) Investitionsprogramm: Massiver Ausbau der ÖPNV-Infrastruktur, um zu erwartende Fahrgaststeigerungen bewältigen zu können.
- Phase 3) Vorbereitende Einführung: Schrittweise Einführung eines entgeltfreien ÖPNV, beispielsweise zunächst nur für begrenzte Fahrtzeiten, Orte/Linien oder bestimmte Zielgruppen. Dabei soll untersucht werden, wie sich die kostenfreie Fahrt auf das Fahrverhalten auswirkt und wie Linienbündel erweitert werden müssen.
- Phase 4) Mehrjährige Testphase „Entgeltfreier ÖPNV“ für alle in der gesamten Modellregion.
- Phase 5) Beendigung des steuerfinanzierten Modells und Durchführung eines Bürgerentscheids zur Frage, ob zukünftig alle Einwohnerinnen und Einwohner der Kommune den ÖPNV solidarisch (günstig für alle) durch eine ÖPNV-Pflichtabgabe (ca. 20 Euro pro Person und Monat) finanzieren sollen oder wieder nur die Nutzer*innen (teuer für Nutzerinnen und Nutzer). Egal wie die Bevölkerung sich entscheidet: Der ÖPNV wurde massiv ausgebaut und der Staat am Ende der Testphase wieder finanziell entlastet. Gleichzeitig wurden wichtige Daten zum ÖPNV-Nutzungsverhalten gesammelt.
III Menschen beim ÖPNV mitentscheiden lassen!
Ob Menschen Zugang zu öffentlichen Mobilitätsdienstleistungen haben und ob diese Leistungen den Anforderungen der Bevölkerung oder überhaupt den Mindeststandards genügen, ist oft unbekannt. Diesem Defizit soll ein Sächsisches ÖPNV-Beteiligungsgesetz (SächsÖPNVBG) begegnen. Damit werden Nutzerinnen und Nutzer an der Planung von Nahverkehrsdienstleistungen beteiligt, sie können die Leistungsqualität beeinflussen. Dieser nutzer- und angebotsorientierte Ansatz bedeutet einen radikalen Wandel der ÖPNV-Planung und im Betrieb. Damit Nutzerinnen und Nutzer stärker beteiligt und in ihren Rechten gestärkt werden, sieht das Sächsische ÖPNV-Beteiligungsgesetz (SächsÖPNVBG) unter anderem folgende Maßnahmen vor:
• Aufsuchende Beteiligungsverfahren werden für alle ÖPNV-Vorhaben festgeschrieben, insbesondere bei Änderungen von Linien, Fahrplänen und Tarifen.
• Erstellung kommunaler ÖPNV-Beteiligungskonzepte und deren Umsetzung durch ÖPNV-Beteiligungsmanagerinnen und -manager.
• Schaffung eines Landesfahrgastbeirats, der als parlamentarischer Beirat den Landtag in seiner ÖPNV-Gesetzgebung berät.
• Einführung und organisatorische Unterstützung unabhängiger, lokaler Fahrgastbeiräte.
• Implementierung von Servicegarantien, die in allen öffentlichen Verkehrsmitteln in ganz Sachsen gelten.
• Erleichterung der außergerichtlichen Streitbeilegung durch die Einrichtung einer Verbraucherschlichtungsstelle.
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