Weißwasser, 1. Juli 2019 – Vertreter*innen der Partei DIE LINKE. aus den vom Braunkohleabbau betroffenen Gebieten in ganz Deutschland haben 7 Forderungen
aufgestellt, wie die laut Eckpunkte zur Umsetzung der strukturpolitischen Empfehlungen der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ für ein
„Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“ geplanten 40 Milliarden Euro über 20 Jahre bis 2038 ausgegeben werden sollen.
Die Forderungen in Kurzform lauten:
[Die ausformulierte Version findet sich weiter unten]
1. Staatsvertrag zwischen dem Bund und den vier Bundesländern
2. Strukturwandelmaßnahmen im Einklang mit den Globalen Nachhaltigkeitszielen
3. Mittelvergabe transparent und demokratisch organisieren
4. Erst regionale Leitbildprozesse, dann Konkretisierung von Projekten und
Mittelvergabe
5. Stärkung der Kommunen, der regionalen Wirtschaft und des öffentlichen Sektors
6. Fonds Zivilgesellschaft etablieren
7. Kohleausstiegsgesetz
„Worauf es beim Strukturwandel ankommt, ist doch, dass die Bürgerinnen und Bürger tatsächlich einbezogen werden und eine Vorstellung von der Zukunft ihrer Region selbst
entwickeln bevor das Geld schon für den Ausbau der A4, den Umbau des Landratsamts oder eine ICE-Verbindung ausgegeben ist“, sagt Antonia Mertsching, Direktkandidatin der
Partei DIE LINKE. Sachsen für den Wahlkreis 57 (WSW/NY) und Mitinitiatorin der sieben Forderungen. „Sonst sind sehr großer Frust, Enttäuschung und eine Abwendung von
Politik erneut vorprogrammiert. Es ist genug Zeit, um die Zukunft der Lausitz in einem gemeinsamen Prozess zu planen und hier auf eine nachhaltige Entwicklung setzen:Schiene
statt Straße, Ausbau ÖPNV, regionale Landwirtschaft, nachhaltige Industrien mit den Rohstoffen Holz, Leinen, Hanf fördern. Es gäbe so viele Ansatzpunkte!“
„Wir brauchen eine regionale Wertschöpfung bei der Gelder die in der Region investiert oder erarbeitet werden auch wieder in der Region ausgegeben werden. Fördermittel,
Gewinne aus Unternehmungen und öffentliche Investitionen müssen so angelegt sein, dass ihr fiskalischer Benefiz bei den Menschen der Region und nicht auf den Konten von
Investmentfonds oder Aktienspekulanten landet“, meint Mirko Schultze, Görlitzer Abgeordneter für DIE LINKE. Sachsen.
Hintergrund
Unterzeichner*innen der sieben Forderungen sind Mitglieder der Partei DIE LINKE, überwiegend Abgeordnete, vom Kommunal- bis zum Europäischen Parlament aus den
vom Braunkohleabbau betroffenen Regionen in Deutschland. Aufgabe der Vernetzungsgruppe Strukturwandel Braunkohleregionen ist der Austausch über inhaltliche
und politische Entwicklungen, Entscheidungen und Erkenntnisse mit Bezug zu den Themen Kohlekommission/-ausstieg, Strukturwandel, Energiewirtschaft/-system und
Klimaschutz. Die Gruppe berät sich bei regelmäßigen Treffen über die aktuellen Entwicklungen und leitet strategische und inhaltliche Empfehlungen ab.
Die Erklärung:
NACH DER KOHLE
Vernetzungsgruppe Strukturwandel Braunkohlereviere
Hinsichtlich der Verwendung der von der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ vorgesehenen finanziellen Mittel für den Strukturwandel in den
Braunkohlerevieren formuliert die Vernetzungsgruppe Strukturwandel Braunkohlereviere der Partei DIE LINKE.
7 Forderungen an die Verwendung der Fördermilliarden anlässlich der vorliegenden Eckpunkte für ein Strukturstärkungsgesetz
1. Staatsvertrag
Entsprechend des Eckpunktepapiers „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“ sind für einen Zeitraum von 20 Jahren insgesamt 40 Milliarden Euro für die Braunkohleregionen
vorgesehen. Wir fordern einen Staatsvertrag zwischen dem Bund und den Bundesländern Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen, um einerseits die
Abgeordneten in den jeweiligen Parlamenten in die Entscheidungen einzubeziehen und andererseits die in Aussicht gestellten Gelder rechtlich bindend sowie ohne
Haushaltsvorbehalt langfristig zu sichern.
2. Strukturwandel im Einklang mit den Globalen Nachhaltigkeitszielen
Der Braunkohleausstieg ist Teil des Klimaschutzplans der Bundesregierung. Aus diesem Grund müssen auch die einzusetzenden finanziellen Mittel den Anforderungen
des Klimaschutzes gerecht werden. Wir fordern eine klare Bindung der Fördermilliarden an die Globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs). Unter Beteiligung der Zivilgesellschaft sind für dieses
Herangehen Kriterien zu entwickeln, um eine ökologisch und sozial nachhaltige Förderung von Maßnahmen zu erreichen. Im Mittelpunkt dieser Förderung sollen
Maßnahmen zur Stärkung der öffentlichen Daseinsvorsorge und zur Erreichung der Klimaschutzziele stehen.
Es sind keine Fördermaßnahmen für Technologien einzusetzen, die zu einem zusätzlichen Braunkohleabbau oder zusätzlicher Kohleverstromung führen.
Bei Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen müssen der öffentliche Verkehr sowie schienengebundener Güterverkehr im Mittelpunkt stehen. Dies schließt
Straßenbauprojekte nicht aus, stellt sie aber unter einem besonderen Begründungszwang.
3. Mittelvergabe transparent und demokratisch organisieren
Das Eckpunktepapier „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“ der Bundesregierung weist bereits Projekte in den Bereichen Forschung und Innovation, Digitalisierung und
Mobilität oder der Bundesverwaltungs- und Verkehrsinfrastruktur aus. Auch der Abschlussbericht der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“
enthält in seinen Anhängen Projektvorschläge der Länder zur Strukturentwicklung. Allen gemein ist, dass sie in den Ländern mehrheitlich nicht mit der Öffentlichkeit diskutiert
wurden – weder in den Parlamenten, noch mit der Zivilgesellschaft. Wir fordern eine transparente Mittelvergabe, die in der Region auch unter
Einbeziehung der Landesparlamente – in einem begleitenden Ausschuss – und der Beteiligung der Zivilgesellschaft – in einem Steuerungsgremium – stattfindet.
Im speziellen Fall der Lausitz fordern wir einen gemeinsamen interparlamentarischen Landtagsausschuss der Bundesländer Brandenburg und Sachsen, der die Lausitz als
bundesländerübergreifende Region entwickelt.
4. Regionale Leitbildprozesse – Kommunikation und Kultur fördern
In dem Eckpunktepapier „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“ liegen bereits Vorschläge der Länder für Leitbilder der Kohleregionen vor, während derzeit
beispielsweise in der Lausitz ein von der „Zukunftswerkstatt Lausitz“ organisierter Prozess zur Leitbildentwicklung der Region stattfindet, der längst noch nicht
abgeschlossen ist. Selbst dieser Prozess findet entgegen der Ankündigungen bislang weitgehend unter Ausschluss der Zivilgesellschaft statt.
Ein Strukturwandel kann nur gelingen, wenn die Menschen an den Entscheidungen mitwirken und die Möglichkeit haben, mitzuentscheiden, ihre Ideen einzubringen.
Wir brauchen eine ehrliche Diskussion um die Zukunft in den Regionen. Dieser Prozess muss durch eine intensive Kommunikation über Lebensgeschichten und
Zukunftsvisionen begleitet werden. Die Menschen sollen sich trotz Wandel und Veränderungen mit ihren Regionen identifizieren. Das kann nur gelingen, wenn
unterschiedliche kulturelle Maßnahmen gefördert werden. Wir fordern die Bundesregierung auf, die Förderung von Kommunikation und
Kultur in das Strukturstärkungsgesetz aufzunehmen.
Wir fordern die Priorisierung der Mittel durch Akteure aus der Region anhand partizipativ entwickelter Leitbilder. Die entsprechende Bindung und Verwendung der
Mittel dürfen erst nach Abschluss des Prozesses erfolgen.
5. Stärkung der Kommunen, der regionalen Wirtschaft und des öffentlichen Sektors
Derzeit fehlt es den vielfach in der Haushaltssicherung befindlichen Kommunen und den finanzschwachen Kommunen an Personalstellen und Eigenmitteln, um den
Anforderungen des Strukturwandelprozesses adäquat gerecht zu werden. Wir fordern eine Investitionspauschale für vom Braunkohleausstieg betroffene
Kommunen, um diese in die Lage zu versetzen, Ideen zu generieren und Fördermittel zu beantragen. Wir fordern die Förderung regionaler Wertschöpfungsketten und
ein Ende der in den letzten Jahrzehnten vielfach misslungenen „Leuchtturm“-Politik. Bei den betroffenen Braunkohleregionen handelt es sich um sehr heterogene Regionen,
mit sehr unterschiedlicher Wertschöpfung. Auch aus diesem Grund sind die Leitbilddiskussionen ein wichtiges Instrument, um das Ziel der Entwicklung in diesen
Regionen zu bestimmen. Der Erhalt eines möglichst hohen Industrialisierungsniveaus – könnte eine gemeinsame Grundlage für weitere Entscheidungen in den Regionen sein.
Darüber hinaus sind insbesondere die östlichen Bundesländer von einer Klein- und Mittelständischen Unternehmensstruktur geprägt. Dieser Unterschiedlichkeit muss die
gebotene Aufmerksamkeit zur kleinteiligen, ausbaufähigen wirtschaftlichen Entwicklung in den Regionen gegeben werden.
Wir fordern die Bundesregierung und die Landesregierungen auf, in Brüssel ihren Einfluss dahingehend wahrzunehmen, dass im Rahmen der anstehenden Revision der
europäischen Beihilferichtlinien mehr Spielraum für Investitionen und Subventionen der öffentlichen Hand in den sozial-ökologischen Umbau von Regionen im Strukturwandel
ermöglicht wird.
Wir fordern einen europäischen Fonds für den „gerechten Übergang“ (just transition), der allen europäischen Regionen, die vom Kohleausstieg betroffen sind, zugutekommt.
6. Fonds Zivilgesellschaft etablieren
Der Abschlussbericht der Kohlekommission empfiehlt: „Ein noch festzulegender Anteil der Mittel sollte nicht auf den ‚wirtschaftlichen‘ Strukturwandel beschränkt sein, sondern
dafür verwendet werden, um zivilgesellschaftliche Aktivitäten, Lebensqualität und weiche Standortfaktoren zu stärken und weiterzuentwickeln.“
Wir fordern die Bundesregierung auf, ein Finanzierungsinstrument für ein kleinteiliges zivilgesellschaftliches Engagement regionaler kultureller Initiativen und
Netzwerke sowie für Kleinstprojekte im Handwerk und im Gewerbe mit dem Fokus auf einen zukunftsfähigen Strukturwandel und eine lebenswerte Region im
Strukturstärkungsgesetz aufzunehmen. Wir unterstützen den Vorschlag zivilgesellschaftlicher Initiativen für einen eigenständigen Fonds (wie ihn in der Lausitz die „Lausitzer Initiativen“ gemeinsam mit dem „Zentrum für Dialog und Wandel“ der Evangelische Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz mit ihrem „Fonds Zivilgesellschaft Lausitz“
fordern). Solcherart separate Fonds sollen mit einem kleinen Teil der angekündigten Strukturwandelgelder des Bundes ausgestattet und neben den im Eckpunktepapier
skizzierten Finanzierungslinien etabliert werden. So werden organisatorische Kapazitäten frei, die für kleine Projekte den Zugang zu Fördermitteln erleichtern, und
Investitionen in kleinere soziale und disruptive Innovationen tätigen sowie etablierte regionale und überregionale Netzwerke und gemeinwohlorientiertes wie nachhaltiges
Unternehmertum fördern. Im Ergebnis entfaltet das bürgerschaftliche Engagement in den Revieren Wirksamkeit in der eigenen Zukunftsgestaltung.
7. Kohleausstiegsgesetz
Zur Planungssicherheit für alle vom Braunkohleausstieg Betroffenen und für die verlässliche Strukturentwicklung der Regionen gehört ein Kohleausstiegsgesetz. Wir
fordern darum bis Ende 2019 eine gesetzliche Regelung zum Braunkohleausstieg. Die gesetzliche Regelung muss sicherstellen, dass sowohl ein Abschalten von
Kraftwerken als auch ein frühzeitiges Auslaufen von Tagebauen inclusive der nötigen Rekultivierungsaufwendungen nicht zu Lasten der Fördermittel für die
Braunkohlereviere und die betroffenen Bundesländer und Kommunen gehen darf.
Unterzeichner*innen sind die Mitglieder der Vernetzungsgruppe Strukturwandel:
Lorenz Gösta Beutin, energiepolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag, Landesvorsitzender Die Linke. Schleswig-Holstein
Birke Bull-Bischoff, Mitglied der Bundestagsfraktion Die LINKE aus Sachsen-Anhalt
Janina Böttger, stellvertretende Landesvorsitzende DIE LINKE Sachsen-Anhalt
Marco Böhme, Stellvertretender Fraktionsvorsitzender, Sprecher für Klimaschutz,
Energie und Mobilität der Fraktion DIE LINKE. im Sächsischen Landtag
Hans Decruppe, stellvertretender Landessprecher DIE LINKE. NRW Fraktionsvorsitzender DIE LINKE. im Kreistag Rhein-Erft
Thomas Domres, parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion DIE LINKE. im Landtag Brandenburg
Kerstin Eisenreich, stellv. Fraktionsvorsitzende, Sprecherin für Energie-, Agrar- und Verbraucherpolitik & Landesentwicklung, DIE LINKE. Sachsen-Anhalt
Cornelia Ernst, Innen- und energiepolitische Sprecherin der Delegation DIE LINKE. im Europäischen Parlament
Kathrin Kagelmann, agrarpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Sächsischen Landtag
Antonia Mertsching, Direktkandidatin Weißwasser/Niesky für DIE LINKE. für den Sächsischen Landtag
Norbert Müller, Sprecher für Kinder- und Jugendpolitik der Fraktion DIE LINKE. im Deutschen Bundestag
Jana Pinka, Sprecherin für Umwelt- und Ressourcenpolitik der Fraktion DIE LINKE. im Sächsischen Landtag
Mirko Schultze, Sprecher für Feuerwehr, Rettungswesen, Bundeswehr und Katastrophenschutz der Fraktion DIE LINKE. im Sächsischen Landtag
Peter Singer, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Regionalrat Köln, Mitglied im Braunkohlenausschuss für das Rheinische Revier
Kirsten Tackmann, agrarpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE. aus Brandenburg
Axel Troost, Senior Fellow für Wirtschaftspolitik bei der RLS, stellvertretender Parteivorsitzender DIE LINKE.
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