Verspätung, überfüllte Züge, Streckeneinsparungen – kein Wunder bei der Finanzierung!

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In einer Aktuellen Debatte am 29. September 2016 auf Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit dem Titel „Großzügige Bundesförderung für Bahn und Bus –  Sachsen vergibt Chance auf ÖPNV-Offensive“ durfte ich zwei Redebeiträge halten. Darin berichte ich unter anderem von einem ganz normalen Wochenendausflug mit der Bahn in Sachsen:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Ich möchte, da schon viele Zahlen genannt wurden und ich den ersten Redebeitrag unterstützen kann, mit einer persönlichen Geschichte beginnen. Ich wollte vor zwei Wochen übers Wochenende einen kleinen Kurzurlaub in Cunnersdorf bei Kamenz machen. Das liegt mitten in der Provinz, und leider, wie so oft in der Provinz, wenn sie in Sachsen ist, ist diese abgekoppelt und abgehängt.

(Lachen des Abg. Auch Carsten Hütter, AfD)

Von Leipzig nach Kamenz, der nächstgrößeren Stadt, von Cunnersdorf aus gesehen, braucht man 2 Stunden und 20 Minuten mit dem ICE und 2 Stunden und 50 Minuten mit dem Regionalexpress, also knapp 3 Stunden für 170 Kilometer. Das Auto braucht eine ganze Stunde weniger. Dann bin ich aber noch nicht in Cunnersdorf, sondern erst in Kamenz und muss noch 7 Kilometer weiter nach Cunnersdorf fahren. Fragen Sie nicht, ob ein Bus dort hinfährt oder wie man dort hinkommt. Doch weil ich ein „linksversiffter Gutmensch“ bin, wie die AfD vielleicht sagen würde, und mir Klimaschutz wichtig ist,

(Zuruf von der AfD)

bin ich mit dem Zug gefahren und habe mein Fahrrad mitgenommen, damit ich dann von Kamenz weiter nach Cunnersdorf fahren kann und nicht auf den Bus angewiesen bin. Das war also vor zwei Wochen, am 10. September. Ich hatte tagsüber noch einige Termine in Leipzig, bin deshalb erst abends gefahren und habe drei Tage vorher mein Fahrrad im Fernverkehr angemeldet; das muss man tun, sonst kann man es nicht mitnehmen. Es gab keine Chance, das Fahrrad mitzunehmen, da die Plätze alle schon – wie gesagt, drei Tage vorher – vergeben waren. Also bin ich mit dem Regionalexpress gefahren. Das ist ja grundsätzlich auch kein Problem, dachte ich mir. Am 10. September hat aber auch Rasenball Leipzig gespielt, also dieser Fußball-Brause-Verein in der 1. Bundesliga,

(Empörung bei der CDU – Andreas Nowak, CDU: Sie haben übrigens gewonnen!)

und die ganze Stadt bzw. die ganze Region war auf den Beinen. Ich ahnte auch schon, als ich zum Bahnhof fuhr, dass der Zug von Leipzig nach Dresden nicht gerade leer sein würde. Ich dachte mir aber auch: Darauf kann man ja vorbereitet sein – es gibt ja jetzt alle zwei Wochen so ein Bundesligaspiel –, und die Zugbetreiber werden schon einen zweiten Waggon ankuppeln oder vielleicht sogar einen Sonderzug einsetzen, schließlich ist es ein Bundesligaspiel. – Pustekuchen!

(Heiterkeit bei den LINKEN)

Ich stand also am Gleis, als Leipziger mit meinem Fahrrad, der Zug voller Dynamo-Fans, die an diesem Tag auch Dortmund-Fans waren und alle in Richtung Dresden gefahren sind. Ich stand nun da, vor mir der schwarzgelbe Zug, vollgerammelt, auch mit Polizei, die Menschen haben sich gestapelt. Es war aber der letzte Zug mit Anschluss von Kamenz nach Cunnersdorf. Ich zögerte: Ich kann doch jetzt nicht in diesen Zug einsteigen, vor allem auch noch mit meinem Fahrrad, und, wie gesagt, die Fahrgäste stapelten sich. Die Abfahrtszeit war auch schon überschritten, die Türen waren aber noch offen und ich entschloss mich: Ich probiere das jetzt, ich steige da jetzt ein; denn ich lasse mir meinen Kurzurlaub doch nicht durch irgendein Fußballspiel vermiesen. Sie können sich nicht vorstellen, was da los war, als ich in den Zug einsteigen wollte! Ich ergatterte aber am Ende trotzdem einen Stehplatz – am Klo, das kaputt war und stank. Natürlich war die Klimaanlage im Zug auch kaputt, und der Zug war mit über 300 Menschen vollgestellt. Letztendlich bin ich in Cunnersdorf angekommen und konnte auch mit meinen Freunden feiern, doch ich habe auch gesehen, wie in Leipzig viele Menschen nicht in den Zug eingestiegen sind bzw. einsteigen konnten, und, wie gesagt, der Zug war die letzte Verbindung an diesem Abend. Einige Tage später fragte ich dann den Eisenbahnbetreiber, warum er bei solchen Fußballspielen, Messen oder anderen Großereignissen nicht noch einen Waggon dranhängt oder einen Sonderzug einsetzt, je nachdem. Das ist ja alles planbar und eigentlich auch selbstverständlich. Die Antwort war: Das ist für den Zweckverband nicht finanzierbar; denn wir fahren hier auf Oberkante Unterlippe und ein neuer Waggon bedeutet ja nicht mehr Einnahmen, sondern vor allem massive und höhere Kosten. Im Zugverkehr in Deutschland müssen die Züge ja pro Zug und pro Achse, pro Kilometer und pro Station eine Trassen- und Stationsgebühr bezahlen, was den schienengebundenen ÖPNV sehr, sehr teuer macht. Es gab keine Möglichkeit, geplant und kalkuliert einen Waggon dranzuhängen, da die Zweckverbände finanziell auf oberster Kante fahren.

Herr Nowak, es macht mich schon irgendwie wütend, wenn Sie sich hier hinstellen und sagen: Es ist alles gut, es wird alles besser, und wir regeln das schon. Wir brauchen Sie als Opposition nicht, wir brauchen Ihre Reden nicht, und wir brauchen Ihre Hinweise nicht. Ich denke schon, dass Sie diese brauchen. Deshalb werde ich in einem zweiten Redebeitrag darauf eingehen, was wir hier besser machen möchten. Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN –  Zuruf des Staatsministers Martin Dulig)

 

(Zuruf: Wie sind Sie zurückgekommen? – Weitere Zurufe – Leichte Heiterkeit)

Marco Böhme, DIE LINKE: – Ich bin natürlich mit dem Zug zurückgekommen. – Wir möchten in den nächsten fünf Minuten hören, worum es geht, die Zahlen. Wir haben hier hauptsächlich eine Debatte über die Regionalisierungsmittel, also die Bundesgelder, die auch Sachsen bekommt, um den SPNV, also den schienengebundenen Nahverkehr, hauptsächlich darüber zu finanzieren. Vor zwei Jahren sah es ziemlich düster aus; daran können wir uns sicher alle erinnern. Wir waren alle sehr geschockt über den Gesetzentwurf der Bundesregierung, wonach vor allem die ostdeutschen Länder massive Kürzungen zu verzeichnen hatten: Eine Milliarde Euro hätte es bis 2030 für Sachsen bedeutet. Die ostdeutschen Länder haben sich gegen Herrn Schäuble zusammengerauft und etwas durchgesetzt, nämlich 200 Millionen Euro mehr, wovon Sachsen 50 Millionen Euro bekommt. Das ist der größte Batzen, weil wir das Land mit den meisten Streckenkilometern sind in Ostdeutschland. Ihre Feststellung war damals, als die Verkehrsministerkonferenz zusammentrat, um den ÖPNV in der BRD in Gang zu halten, dass wir eigentlich 2,5 % mehr Regionalisierungsmittel jährlich brauchen würden – wenigstens aber 2 %, um den ÖPNV weiter fahren lassen zu können, da die Kosten durch die Maut, durch die Trassengebühren enorm steigen. Das alles ist schon angesprochen worden. Dazu gab es vor zwei Jahren hier im Landtag eine Debatte. Einen der Abgeordneten möchte ich zitieren: „Der guten Ordnung halber sage ich, dass dieser Beschluss der Verkehrsministerkonferenz einstimmig erfolgt ist, also auch mit der Stimme Sachsens. Und damit nicht genug – die Ministerpräsidentenkonferenz hat sich diese Position mit 16 : 0 Stimmen zu eigen gemacht. Es versteht sich deshalb ganz von selbst, dass die Sächsische Staatsregierung nicht mehr hinter diesen Beschluss zurücktreten wird, egal was die Bundesregierung jetzt zu diesem Thema vorlegen wird. Ihre Forderung ist also bereits Regierungshandeln.“ Herr Nowak, das war natürlich von Ihnen. Sie haben das heute wieder so gesagt: Alles, was wir fordern und andiskutieren, sei ja schon Regierungshandeln; alle Probleme, die wir hier ansprechen, würden schon gelöst. Sie wissen, was passiert ist. Die Ostländer haben sich erst über den Tisch ziehen lassen; danach haben sie sich zusammengerauft und jetzt 50 Millionen Euro mehr für Sachsen bekommen. Das alles klingt nach einem guten Kompromiss, doch fragen Sie einmal die Zweckverbände.

(Andreas Nowak, CDU: Das ist mehr, als wir vorher hatten!)

Fragen Sie die Zweckverbände. Sie haben den Zweckverbänden jetzt eine Garantie von 1,8 % bis 2030 gegeben; das ist weniger als 2,5 %. Es ist auch weniger als 2 %. Fragen Sie einmal die Zweckverbände gerade im ländlichen Raum,

(Andreas Nowak, CDU: 2,5 % bekommt kein anderes Bundesland!)

Zweckverbände, die im ländlichen Raum, etwa im Vogtland oder in der Lausitz, für wenige Einwohner viele Streckenkilometer bedienen müssen.

(Andreas Nowak, CDU: Genau deswegen müssen wir die Strukturfrage stellen; sehr richtig!)

Die haben massive Probleme, und ihnen reichen diese Prozente nicht. Von den 50 Millionen Euro, die Sachsen extra bekommt, geben Sie 1 Million Euro an die Zweckverbände weiter, damit sie grundsätzlich besser steuern können.

(Andreas Nowak, CDU: Das ist doch Quatsch!)

Vorher waren es 78 % der Regionalisierungsmittel, die Sie weitergegeben haben. Für 2018 waren eigentlich 80 % geplant. Nun sind wir bei 72 %. Das ist beschämend.

(Andreas Nowak, CDU: Es kommen 100 % im System an!)

Deswegen werden wir Ihnen in den Haushaltsverhandlungen konkrete Vorschläge machen, wie wir diesen Anteil wieder auf 80 % und mehr erhöhen können, und dies ohne Schulden zu machen oder uns aus anderen Ministerien Geld zu nehmen. Das werden wir bei den Haushaltsberatungen durchdeklinieren. Darauf freue ich mich schon. Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

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